Du wohnst in der Stadt. Wo bist du beheimatet? Wie hältst du dein Leben zusammen?

Städte werden in der Bibel eher als Orte der Gottesferne charakterisiert. Die Propheten machen ihre Gotteserfahrungen meistens in Wüsten, in kargen Landschaften. Auch Jesus zieht sich auf einsame Berge zurück, um zu beten. Gotteserfahrungen sind störanfällig für äußere Einflüsse und davon gibt es in der Stadt reichlich. Mit einem Bild des Theologen Friedrich Schleiermacher gesprochen: Der Geschmack für das Unendliche wird in der Stadt von vielen Geschmacksangeboten überlagert - aber eben nicht nur überlagert, sondern auch oft genug überhaupt erst angeregt.

Das dichte Zusammenleben von Menschen garantiert Schutz und Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb der alten oder auch imaginären Stadtmauern. Gleichzeitig sind Städte und ihre Bewohner*innen besonders gefährdet: Sie sind strategische und öffentlichkeitswirksame Ziele von Gewalt, Krieg und Terror. Das intensive Miteinander und Nebeneinander verstärkt die produktiven Kräfte aber auch die dunklen Seiten des menschlichen Wesens. Städte sind Orte von Gegensätzen und Spannungen - produktiv, aber auch destruktiv. Das ist vom Anfang der Stadtgeschichte bis heute so: Schutz und Zerstörung, Freiheit und Enge, Schönheit und Hässlichkeit, Lebendigkeit und Leere.

In Städten erfüllen sich die größten Träume, passieren die traurigsten Abstürze, entstehen die schönsten Ideen. Sehnsüchte werden erfüllt und zerbrochen. Menschen finden sich und Menschen gehen verloren. In der Stadt übertreffen sich die Bewohner*innen selber, fallen aber auch in die tiefsten Abgründe, fügen sich Leid zu. Ist Gott in diesem hoch aufgeladenen Spannungsfeld, in diesen Gegensätzlichkeiten, in dieser Lautstärke überhaupt zu erfahren und vernünftig zu denken? Braucht es nicht doch eher die Abgeschiedenheit, die Ruhe, die Reizarmut, die Kontinuität?

Das Leben im städtischen Kontext verändert sich in kurzen Intervallen. Wie lange die Gültigkeit einer Beobachtung währt, ist nie sicher zu sagen. Zu einer Theologie der Stadt gehört deshalb neben Grundeinsichten auch ein andauerndes momentum movens. Sie kann nicht statisch sein, sie muss die Dynamik der Stadt aufnehmen und abbilden, und zwar im Zusammenspiel mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Die Aufgabe besteht in einem gemeinsamen ständigen Auf- und Abbauen, Überprüfen und Neuformulieren einer Theologie der Stadt, um die Erscheinungsformen des christlichen Glaubens und anderer religiöser Überzeugungen im vielschichtigen urbanen Zusammenleben zu entdecken, zu beschreiben, zu verstehen und Impulse zu geben - in anderen Worten: eine geistesgegenwärtige theologische Stadthermeneutik.

In der Stadt hat man Anteil an etwas Größerem, was man nie so ganz fassen kann. Im Glauben ist es nicht anders. Eine Theologie der Stadt nähert sich beiden Phänomenen.