Ausnahmezustand Eltern werden

Ausnahmezustand Eltern werden

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Ausnahmezustand Eltern werden

Ein Ausnahmezustand

Die frühe Zeit des Übergangs zur Elternschaft wird von LeMasters schon 1957 als „normative Krise“ oder „Ausnahmezustand“ beschrieben. In seinem Buch „Parenthood as crisis. Marriage and Family Living“ wird die Unsicherheit selbst als klar deklarierte Phase ausgeschrieben. Bezüglich der Mütter hat der Psychologe Daniel Stern für diesen besonderen Gemütszustand den prägnanten Begriff der „Mutterschaftskonstellation“ eingeführt (vgl. Stern 2006). Griebel und Röhrbein verweisen aber auch auf die besondere Situation von Vätern. Spezifische Merkmale der Unsicherheit, denen Mütter und Väter nach der Geburt ihres Kindes begegnen, sind etwas:

  • Das Geburtserlebnis und die körperliche Trennung vom Kind müssen verarbeitet werden
  • Gefühle zur eigenen Geburt und zur damaligen Eltern-Kind-Beziehung können (nicht zwingend bewusst) reaktiviert werden und damit das Verhalten gegenüber dem eigenen Kind steuern
  • Die Eltern müssen ihr Kind kennen- und lieben lernen und dabei Selbstvertrauen in der Rolle als Mutter oder Vater gewinnen
  • Sie müssen sich dem Rhythmus des Kindes anpassen und die eigenen Bedürfnisse sowie einen Teil ihrer Unabhängigkeit zurückstellen
  • Sie müssen mit ihren Erwartungen an sich selbst, wie dem Idealbild einer Mutter bzw. eines Vater zu entsprechen ist, umgehen
  • Die Beziehungen zur Partnerin/zum Partner, aber auch zu den Freundinnen und Freunden, verändern sich
  • Eine veränderte Sexualität muss bewältigt werden
  • Die Erziehung des Kindes erfordert von beiden Eltern bestmögliche emotionale und soziale Förderungsfähigkeiten
  • Ungeplante Schwangerschaft
  • Kurze Partnerschaftsdauer
  • Niedriges Lebensalter
  • Niedriger Sozialstatus
  • Geringes Einkommen
  • Niedriger Bildungsstad
  • Vorgeburtliche geringe Partnerschaftszufriedenheit
  • Geringe Sensibilität für die Gefühle Anderer
  • Geringes Selbstwertgefühl

(vgl. Griebel u. Röhrbein 1999)

Partnerschaftszufriedenheit

Zusammenfassend verändert sich mit der Geburt eines Kindes die Partnerschaftsqualität. So Verweisen Reichle und Franiek auf 16 % der Paare, welche eine Senkung der Partnerschaftszufriedenheit beschreiben. Ein „schwieriges“ Temperament des Kindes kann zu einer weitaus höheren partnerschaftlichen „Belastung“ führen. Weiter ist bei einigen Paaren der sogenannte „Traditionalisierungseffekt“ vermerkbar. Hier kommt es nach der Geburt des Kindes zu einer Annäherung an traditionelle Rollenmodelle (vgl. Reichle/Franiek 2008). Reichle und Franiek zeigen Risikofaktoren für eine Verschlechterung der Partnerschaftszufriedenheit auf:

 ( vgl. Reichle u. Franiek 2008).

Sie unterteilen die aufgeführten Faktoren in bestimmte Teilbereiche. So stehen protektive Faktoren für die partnerschaftliche Zufriedenheit, welche den Rahmen der Erziehung in den Fokus nehmen. Hier ist ein gutes Einkommen, eine große Wohnung, Offenheit in der Beziehung sowie soziale Unterstützung und ein soziales Netzwerk zu nennen. Zum anderen existieren dispositionelle Faktoren, welche die Unzufriedenheit in der Partnerschaft positiv beeinflussen können und eher auf Personelle abzielen, wie ein hohes Selbstwertgefühl, eine ausgeprägte Sensibilität, Humor sowie die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.

Postpartale Depression

In der sensiblen Phase nach der Geburt können depressive Anzeichen auftreten, welche beide Elternteile betreffen können. Dieser Anklang kann sich bis zu einer postpartalen Depression (PPD) entwickeln und chronifizieren. Eine diagnostizierte PPD wird häufig mit der Mutter zusammengebracht, welche dementsprechend gut erforscht ist. Aber auch die „väterliche“ PPD wurde in den letzten 10 Jahren empirisch untersucht und breiter in die Öffentlichkeit getragen. Groß stellt heraus, dass die Hälfte der Mütter an emotionalen Verstimmungen leiden, dem sogenannten „Baby Blues“ (vgl. Groß 2009). Etwa 10-15 % der Mütter leiden an länger anhaltenden und behandlungsbedürftigen Depressionen und 1-2 von 1.000 Frauen erleiden sogar eine Psychose (vgl. Groß 2009). Das große Problem dabei ist, dass Mütter, welche eine postpartale Depression entwickeln, nicht genügend soziale Unterstützung erhalten. Seiffge-Krenke legt Zahlen zur „väterlichen“ PPD aus den USA vor. Sie verweist auf einen Bereich von 12 bis 26 % aller werdenden Väter, die Erfahrungen mit der PPD gemacht haben (vgl. Seiffge-Krenke 2016). Hier besteht jedoch eine große Dunkelziffer. Risikofaktoren können ein geringes Einkommen, ein niedriger Sozialstatus oder Konflikte in der Partnerschaft sein. Für den Säugling können die eben beschriebenen psychischen Einflüsse prägend sein. Folgen sind Beeinträchtigungen der Bindung zu beiden Elternteilen und ein erhöhtes Depressionsrisiko bis ins Erwachsenenalter (vgl. Veskrna 2010). Zusammenfassend ist nach der Geburt des Kindes eine ausdifferenzierte Kommunikation innerhalb der Triade elementar, welche von mindestens drei Faktoren abhängig ist:

  • Die Situation der Eltern
  • Die Situation des Kindes
  • Die neugeschaffene Situation des konkreten Umgangs miteinander

Eine gelingende Mutter- wie Vaterschaftskonstellation hängt dementsprechend stark von den umrahmenden Umständen und der eigenen psychischen Konstitution ab. Im Nachgang des Geschriebenen wird klar, dass Familien in sozial-ökonomischen Krisen, immense Kräfte mobilisieren müssen, einen geeigneten Rahmen des Übergangs zur Elternschaft zu gewährleisten. Weiter wird uns gezeigt, wie oft eine postpartale Depression vorkommt und diese nicht adäquat behandelt wird. Sie wird verschwiegen. Ein Grund kann das gesellschaftliche Rollenbild von Vätern und Müttern sein. „Die frisch gebackene Mutter und der frisch gebackene Vater sollten sich doch über ein gesundes Kind freuen“. Ich hoffe, dass dieser Artikel für dieses Thema sensibilisieren konnte und die Hemmschwelle, sich professionelle Hilfe zu suchen, herabsenkt.

Quelle:

LeMasters, E.E. (1957): Parenthood as crisis. Marriage and Family Living

Reichle, B., Franiek, S. (2008): Auch positive Ereignisse erfordern Bewältigung: Prävention von Partnerschaftsproblemen nach dem Übergang zur Elternschaft. Wien: Facultas

Seiffge-Krenke, I. (2016): Väter, Männer und kindliche Entwicklung. Ein Lehrbuch für Psychotherapie und Beratung. Heidelberg: Springer

Stern, D. (2006): Die Mutterschaftskonstellation. Eine vergleichende Darstellung verschiedener Formen der Mutter-Kind-Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta

Griebel, W., Röhrbein, A. (1999): Was bedeutet es, Vater zu sein bzw. zu werden. In Deutscher Familienverband (Hrsg.), Handbuch Elternbildung. Opladen: Leske und Budrich

Groß, S. (2009): Psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft und im ersten Jahr mit dem Kind. Frankfurt a. M.: Mabuse

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