02/07/2024 0 Kommentare
Mein starkes Kind
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# SchöneMitteFamilien
Mein starkes Kind
Selbstvertrauen und Selbstgefühl
Als erstes müssen wir festhalten: Selbstvertrauen ist nicht gleich Selbstgefühl. Auch wenn die Wortgegebenheiten ähneln, ist das pädagogische Verständnis ein Anderes.
Selbstvertrauen
Unser Selbstvertrauen bezieht sich auf Kompetenzen, die ein Mensch beherrscht. Je besser eine Tätigkeit ausgeführt wird und wir uns selbst vertrauen, umso größer ist unser Selbstvertrauen. Zusammenfassend entsteht Selbstvertrauen proportional zu unserer körperlichen, geistigen oder kreativen Leistung auf unterschiedlichen Gebieten (vgl. Juul 2009). Also wenn wir etwas gut können, besitzen wir Selbstvertrauen.
Selbstgefühl
Das Selbstgefühl (oder Selbstwertgefühl) bezieht sich auf das Sein. „Selbstgefühl ist die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen und sich dazu emotional zu verhalten“ (Juul 2009, S.52).
In der kindlichen Entwicklung ist die Bindung und Kommunikation zu den Eltern ein elementarer Bestandteil der Identitätsentwicklung. Schwierig wird es dann, wenn Eltern nicht den Unterschied zwischen Selbstvertrauen und Selbstgefühl kennen. Heruntergebrochen verwechseln Eltern im Sprechen das „Können“ und das „Sein“. Das Produkt ist Zufriedenheit durch erbrachte Leistung, welche nur kurz anhält oder erst keinen Einfluss auf das Selbstgefühl nimmt.
Hier stellt sich die Leserin und der Leser die Frage: „Wie sorge ich denn dann für ein gesundes Selbstgefühl?“. Jesper Juul, einer der einflussreichsten und innovativsten Familientherapeuten Europas, Konfliktberater und Gründer von familylab International, beantwortet diese Frage folgendermaßen:
„Wenn Eltern bewusst für die Integrität ihres Kindes sorgen, indem sie seine Versuche, sich abzugrenzen und sich zu zeigen, respektieren, schaffen sie eine optimale Grundlage zur Entwicklung seines gesunden Selbstgefühls“ (Juul 2009, S.52).
Integrität wird im Duden in der Bedeutungsübersicht mit Ganzheit, Vollständigkeit und Unversehrtheit beschrieben. In der Familiendynamik bedingen sich Integrität und Kooperation. Das Kind hat ein natürliches Verlagen zur Kooperation, welches von den Eltern gewährt wird. In einem ausgewogenen Familiensystem, in dem alle MitgliederInnen mittels Kompromissfähigkeit aufeinander eingehen, müssen jedoch Grenzen auf Basis der eigenen Integrität aufgezeigt werden. Das gilt für die Erwachsenen, sowie für die Kinder. So agieren die Eltern als Vorbilder der eigenen Integritätsbewahrung.
Eine gesunde Bindung zu unserem Kind gibt Raum für eine intakte Integrität, ein gut entwickeltes Selbstwertgefühl und eine Beziehung, in der Wachstum möglich und vor allem erwünscht ist. Zusammenfassend sind das die Grundlagen einer gelingenden Beziehung zu unseren Kindern und Partnern.
Was aber kann passieren wenn unser Kind oder wir selbst eines geringen und ungesunden Selbstwertes unterliegen? Das Resultat ist die Schwierigkeit mit seiner inneren Verantwortlichkeit in Verbindung zu treten. Damit wird es dem Kind oder uns selbst erschwert konstruktive und persönliche Ziele zu formulieren. Betroffene Individuen empfinden das Zusammenspiel mit anderen als schwierig. Sie nehmen sich selbst als nicht wertvoll wahr und beschreiben die Interaktion mit Mitmenschen als unbefriedigend (vgl. Juul 2009).
Jesper Juul beschreibt in seinem Buch „Fünf Grundsteine für die Familie“ fünf Gefahren, welche Kinder daran hindern, ein gesundes Selbstgefühl zu entwickeln.
- Der Missbrauch der Definitionsmacht der Erwachsenen
- Zum „Projekt“ seiner Eltern gemacht zu werden
- Eltern ohne persönliche Grenzen und Bedürfnisse
- Ironie, Sarkasmus, Demütigung
- Wenn sich Eltern ständig Sorgen machen
(vgl. Jesper Juul 2009, S. 68)
Die Wahrung unserer persönlichen Integrität wirkt sich unmittelbar auf unser Selbstgefühl aus, das uns wiederum ermöglicht, Eigenverantwortung oder Kooperationsbereitschaft zu zeigen. Wenn Kinder plötzlich nicht mehr kooperieren, haben sie wahrscheinlich zu lange kooperiert oder sind in ihrer eigenen Integrität gekränkt.
Das soll kein Apell sein, zu allem, was das Kind möchte, ja zu sagen. Es soll ein Überdenken der eigenen Kommunikation bewirken. Eltern die „Nein“ sagen, gelten als Spielverderber und müssen eine gute Begründung abliefern. Sie müssen das „Nein“ in einer viel größeren Klarheit übertragen als ein „Ja“. Aber mit ein bisschen Freundlichkeit lässt sich manches „Nein“ wesentlich besser Transportieren.
Kinder sind nicht an Macht interessiert (vgl. Juul 2009). Sie sabotieren uns Erwachsene nicht, sondern probieren sich selbst in ein Gleichgewicht zu bringen. Das produziert einen neuen Raum für Kooperation. Wenn ein Kind ein Nein der Mutter oder des Vaters nicht akzeptiert und um die Erfüllung des eigenen Bedürfnisses kämpft, ist das ein Zeichen für die gesunde Beziehung in der Familie. Wenn es diesen „Kampf“ nicht führen darf, kann es später weniger für seine eignen Bedürfnisse sorgen. Reaktionen finden in einer großen Bandbreite statt. Ein verwehrtes Eis produziert manchmal Wut, manchmal Schmollen oder vielleicht ein auf den Boden wälzen und um sich schlagen. Das dient dem Abbau der eigenen Frustration und bringt das Kind wieder ins Gleichgewicht. Was anschließend folgt, ist die Trauer. Zu diesem Zeitpunkt sollten Eltern ihren Kindern den Rahmen zum Rückzug gewähren. Die Kinder dürfen für sich alleine trauern, auch ohne die Eltern. Das ist wichtig und gesund. Sie lernen mit Enttäuschung umzugehen.
Dieser kleine Abriss soll Eltern helfen ihre eigene Kommunikation wahrzunehmen und vielleicht zu reflektieren. Wir alle wissen, wie schwierig es ist, in der Beziehung zu unseren Kindern Entscheidungen zu treffen. Das bietet die einzigartige Möglichkeit selbst weiter heranzureifen und sich nicht als Wissende oder Wissender zu betrachten, sondern immer mit einer Haltung des Unwissens an Kinder heranzutreten. David Joseph Bohm, Quantenphysiker und Philosoph, beschreibt den Dialog als empfindlichen Körper. Menschen, die in den Kontakt mit anderen Menschen treten, sollten ihre Normen und Werte in der Schwebe halten und sich unwissend und offen begegnen. Das sollten wir uns zum Vorbild nehmen.
Quellen:
- Bohm, D. (2014): Der Dialog – Das offene Gespräch am Ende der Diskussion. 7. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag Juul, J. (2009): Fünf Grundsteine für die Familie – Wie Erziehung funktioniert. 1. Auflage. Freiburg: Kösel
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