22/04/2025 0 Kommentare
"Wir stellten uns Engländer als eine Mischung aus Außerirdischen und Monstern vor"
"Wir stellten uns Engländer als eine Mischung aus Außerirdischen und Monstern vor"
# KK Kriegsende

"Wir stellten uns Engländer als eine Mischung aus Außerirdischen und Monstern vor"

Ich kann mich nicht erinnern, dass das Kriegsende bei uns zu Hause vor uns Kindern thematisiert wurde. Meine Mutter war sehr unpolitisch, sie hat weder Erleichterung noch Enttäuschung formuliert. Auch andere Erwachsene in meinem Umfeld habe ich nicht darüber sprechen gehört.
Ich kann mir jedoch denken, dass meine Mutter erst einmal erleichtert über das Kriegsende war. Mehr als zwei Jahre musste sie mit zwei kleinen Kindern und einer für den Notfall gepackten Tasche häufig nachts den nahe gelegenen Bunker aufsuchen, wenn die Sirenen Alarm gaben. Und zum Ende des Krieges nahmen die Angriffe zu. Dazu kam die Sorge um ihren Mann, der als Soldat im Krieg war.
Der Einmarsch der "bösen" englischen Soldaten war für viele Deutsche unerträglich und nicht zu akzeptieren. Jahrelang hatten die sogenannten "Volksempfänger" (einfache Radios mit nur einem Programm) nur Siegesnachrichten der deutschen Truppen über die "bösen" Feinde gesendet.
Daher verbot die britische Militärverwaltung den Menschen in Hamburg, an den Fenstern zu stehen, als ihre Truppen einmarschierten. Zu groß war ihre Angst vor Attentaten. Aber meine kleine Schwester und ich waren wahnsinnig neugierig. Wir stellten uns die Engländer wie eine Mischung aus Außerirdischen und Monstern vor und haben uns ans Fenster geschlichen, um einen Blick auf sie werfen zu können. Das gab Riesenärger mit unserer Mutter. Was wir nicht wussten: Die Briten hatten verkündet, dass auf jede Bewegung an einem Fenster geschossen werden würde.
Ich erinnere mich an eine Begebenheit mit einem Bild von Adolf Hitler. Meine Eltern hatten es 1938 zur Hochzeit geschenkt bekommen. Nach Kriegsende hatte meine Mutter es in den Wäscheschrank gelegt. Als ihre jüngere Schwester dort eine Tischdecke herausholte und das Bild entdeckte, hat sie meine Mutter angefahren: „Bist du wahnsinnig? Wenn das hier die Engländer entdecken!“ Sie holte sich ein Kartoffelschälmesser, löste das Bild aus dem Rahmen und schnitt mit dem Messer Hitler zuerst genüsslich beide Augen und danach die Nase heraus. Meine Mutter protestierte – es war das einzige Bild, das meine Eltern zu der Zeit überhaupt besaßen.
Gegenüber unserer Wohnung lagen einige Häuser in Trümmern. Ich fand es interessant, darin herum zu klettern. Man fand so das Eine und Andere, u.a. Holz. Das wurde gern zum Heizen entgegengenommen, bis meine Mutter herausfand, woher es stammte. Die Folge war eine ordentliche Strafpredigt, heute kann ich gut nachvollziehen, warum.
Weihnachten 1945 nahm eine Bekannte meine Schwester und mich mit zu einer Weihnachtsfeier der britischen Kommandatur, die im Hotel "Vier Jahreszeiten" residierte. Die Briten wollten damit Kindern des zerstörten Hamburgs eine Freude bereiten. Es gab u.a. Kuchen, Eis, Kakao und frisches Obst. Man bot mir eine Banane an, eine mir bis dato unbekannte Frucht. Ich biss hinein und fand sie eklig. Woher sollte ich wissen, dass man erst die Schale abziehen musste?!?
Karin*, Jahrgang 1939, erlebte das Kriegsende mit ihrer Familie in Hamburg.
Der vollständige Name der Interviewten ist der Redaktion bekannt. Wir haben dem Wunsch entsprochen, die Kriegserinnerungen nicht unter dem vollständigen Namen zu veröffentlichen.
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